Über Oncaeidae
Der Name „Oncaeidae“ bezeichnet eine Familie von kleinen planktischen Copepoden (Ruderfußkrebse), die in großer Anzahl in ozeanischen Gebieten vorkommen. Arten dieser Familie treten in allen Regionen des Weltmeeres auf, von tropischen Gewässern bis zu den Polargebieten und von der Oberfläche bis in die Tiefsee. Die Familie beinhaltet eine Vielzahl - mehr als 100 - Arten, von denen die kleinsten im erwachsenen Zustand weniger als einen halben Millimeter lang sind und die größten lediglich 1.3(1.5)mm messen. Da es recht schwierig ist, diese winzigen Tiere zu fangen und zu untersuchen, sind viele Arten bisher nicht oder nur unzureichend als sog. Morphospecies bekannt. Hier sind noch ausführlichere Untersuchungen und Detailbeschreibungen erforderlich.
Die Rolle der kleinen Oncaeidae im Ökosystem des Weltmeeres ist noch weitgehend ungeklärt. Sie unterscheiden sich von anderen pelagischen Copepodenarten (wie beispielsweise den größeren Calanoida oder der cyclopoiden Familie Oithonidae) durch eine mehr pseudopelagische Lebensweise, da sie oft assoziiert mit gelatinösen Organismen, wie z.B. Salpen oder Appendicularien, auftreten, von denen sie sich teilweise auch ernähren. Andererseits wurde auch beobachtet, dass sie größere Organismen wie Chaetognathen (Pfeilwürmer) oder große Copepoden aktiv angreifen. Der Bau ihrer Mundwerkzeuge zeigt, dass sie keine Filtrierer sind, ihre Ernährungweise scheint jedoch ziemlich opportunistisch zu sein, denn ihre Nahrungsgrundlage erstreckt sich über einen breiten Bereich von partikel-beladener muköser Substanz über einzellige Algen (Diatomeen) bis hin zu anderen Crustaceen. Die Oncaeidae selbst sind bekannt als Futterorganismen für Fischlarven und mesopelagische Leuchtsardinen (Myctophidae).
Die Fortpflanzungsleistung und Sterblichkeit der Oncaeidae-Arten im Meer ist noch weitgehend unerforscht. Weibliche Oncaeidae tragen ihre Eier in Säcken (meist paarig), d.h. sie entlassen die Eier nicht frei ins Wasser. Die Anzahl der Eier pro Sack ist je nach Körpergröße der Arten sehr unterschiedlich: Weibchen größerer Arten können bis zu 50 Eier pro Sack tragen, während kleine Arten nur wenige oder sogar nur ein einzelnes Ei pro Sack aufweisen. Die Reproduktionsleistung scheint demzufolge für die kleinsten Arten recht gering zu sein, aber ihre Reproduktionsrate, d.h. die Anzahl Eier pro Zeiteinheit, ist bisher nicht untersucht worden. Die überraschend hohe numerische Abundanz dieser Arten könnte durch eine geringe Sterblichkeit und eine entsprechend lange Lebensdauer bedingt sein, jedoch sind die natürlichen Sterberaten bisher nicht bekannt. Die Grundlage für das hohe zahlenmäßige Vorkommen dieser kleinen Oncaeidae muss also noch herausgefunden werden.
Zur Verbesserung unserer Kenntnisse über die Biologie, die Lebensstrategien und die Verbreitungsdaten (zoogeographische und Tiefen-Verteilung) von Oncaeidae im Weltmeer ist eine genaue Art-Identifizierung unverzichtbar. Die vorhandenen Bestimmungsschlüssel für die Familie in der gedruckten Literatur sowie die wenigen online verfügbaren Schlüssel sind bisher völlig unzureichend, da sie (1) auf bestimmte Meeresgebiete begrenzt sind (z.B. Antarktis, Mittelmeer), (2) meist die kleineren Arten unter 0.5mm Körperlänge nicht einbeziehen und (3) fehlerhaft oder veraltet sind. Mit besonderer Vorsicht sollte das Buch über nicht-calanoide marine Copepoden in "Fauna Ibérica" von Vives und Shmeleva 2010 betrachtet werden (* Zitat s unten). Im Kapitel „Familia Oncaeidae Giesbrecht, 1893“ sind zahlreiche Abbildungen enthalten, die nicht mit angemessener Genauigkeit von den Originalbeschreibungen nachgezeichnet worden sind (häufig ohne Berücksichtigung von Verbesserungen und Korrekturen in nachfolgenden Nachbeschreibungen einer Art) und die eine große Anzahl durchaus substantieller Fehler beinhalten. Daher kann dieses Buchkapitel leider nicht als zuverlässige Informationsquelle für die Familie Oncaeidae genutzt werden.
In den vergangenen drei Jahrzehnten haben Taxonomen sehr viel genauere Informationen über Körpermerkmale und molekulare Charakteristiken (barcoding) von Oncaeidae-Arten gewinnen können. Die bis dahin ungeklärte Systematik der Familie, d.h. ihre Aufgliederung in Gattungen bzw. Artengruppen, wurde teilweise aufgeklärt. Diese aktuellen Daten können nun verwendet werden, um die Artbestimmung zu erleichtern. Im Rahmen eines von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) unterstützten Forschungsprojektes ist ein computer-basierter Bestimmungsschlüssel für alle bisher bekannten Arten der Oncaeidae entwickelt worden. Er soll helfen, in der Grundlagenforschung und bei angewandten Fragestellungen (z.B. in Monitoring-Programmen) diese meist vernachlässigte Mikrocopepodenfamilie auf Gattungs- bzw. Artebene angemessen zu berücksichtigen. Gegenwärtig steht die Online-Version 2.0 des Bestimmungsschlüssels auf dieser Webseite zur Verfügung (siehe "Best.-Schlüssel für Oncaeidae") und kann von Interessenten nach Registrierung benutzt werden. Die Struktur des Schlüssels erlaubt eine regelmäßige Aktualisierung und Anpassung an den fortschreitenden taxonomischen Kenntnisstand der Oncaeidae.
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* Vives,F. and A. Shmeleva 2010. Crustacea, Copépodos marinos II. Non Calanoida. Familia Oncaeidae Giesbrecht, 1893. In: Fauna Ibérica vol. 33, pp 258-352. Ramos, M.A. et al. (Eds.). Museo Nacional de Ciencias Naturales. CSIC. Madrid